Rätselraten
    um Ticona-Werk hält an
    Pressekonferenz
    in Kelsterbach macht auch Risse in der rot-grünen Bundesregierung sichtbar
    Vom
    19.07.2005
    KELSTERBACH
    "Uns treibt die Sorge, was wird aus diesem Werk?", sagte
    Kelsterbachs Bürgermeister Erhard Engisch (SPD) über die
    "Ticona" gestern bei einer Pressekonferenz mit Margareta Wolf (Grüne),
    Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, und dem Vorsitzenden der Störfallkommission,
    Professor Christian Jochum.
    
    Von Dieter
    Ackermann-Girschik und Lars Hennemann
    Laut
    Seveso-II-Richtlinie der EU, die ab Juli in nationales Recht umzusetzen ist,
    stehe die "Ticona" der geplanten Landebahn Nord-West im Weg.
    Gleichzeitig verweigere das RP in Darmstadt dem Unternehmen die Erlaubnis,
    eine fertige Erweiterungsanlage in Betrieb zu nehmen. Wegen des Risikos
    durch die über das Werk führenden, heutigen Abflugrouten des Flughafens,
    sagte Engisch.
    Laut
    Seveso-II-Richtlinie dürfe die Nordwestbahn nicht gebaut werden, weil sie
    besage, dass innerhalb von vier Kilometern Umkreis ein "störfallverordneter
    Betrieb" zu bedenken sei. So argumentierte die Störfallkommission
    unter Professor Jochum bereits im Februar 2004. Der Abstand zwischen künftiger
    Landebahn und Ticona wäre kleiner.
    Eine
    Verlagerung des Werkes nach Tschechien aber, so Margareta Wolf, sei
    "wirtschafts- und sozialpolitisch problematisch". Kenntnisse über
    "tatsächliche Abwanderungspläne der Ticona" habe sie allerdings
    nicht. Den Begriff Tschechien, so Wolf, habe sie nur "metaphernhaft für
    Osteuropa" benutzt, weil Ticona eine Verlagerung nicht ausgeschlossen
    habe, wenn sich der Betrieb in Kelsterbach nicht mehr rechne. Noch will
    Ticona aber in Kelsterbach bleiben. Ralf Christner, Vorstandsbeauftragter
    des Ticona-Mutterhauses Celanese AG, sagte dazu gestern: "Die Frage
    stellt sich für uns nicht, das Werk nach Osteuropa zu verlegen." Nach
    Darstellung von Margareta Wolf lohnt sich der Standort Kelsterbach für
    Ticona dann nicht mehr, wenn das Werk wegen der geplanten Landebahn zurückgebaut
    werden müsste.
    So
    bleibt die "Ticona" wohl in einer Schlüsselrolle in der
    Ausbaufrage. Die EU-Kommission hat wegen ihr inzwischen sogar ein
    Vertragsverletzungsverfahren begonnen. Der Fraport werde darin vorgeworfen,
    die Seveso-II-Richtline bei ihren Ausbau-Planungen nicht beachtet zu haben.
    Bringe die EU-Kommission das vor den Europäischen Gerichtshof, könne sich
    der Ausbau um Jahre verzögern, hieß es gestern. Umgekehrt hatte kürzlich
    das Hessische Wirtschaftsministerium Berichte, denen zufolge die EU möglicherweise
    gar keine so großen Probleme mit Ticona haben könnte, nicht kommentieren
    wollen.
    Das
    Bundesumweltministerium wiederum wird laut Wolf den aktuellen Entwurf des
    hessischen Landesentwicklungsplans, der den Ausbau so vorsieht, nicht an die
    EU-Kommission weitergeben. Das für den Luftverkehr verantwortliche SPD-geführte
    Bundesverkehrsministerium schweige: Weder gebe es bis heute eine
    Stellungnahme zu den Resultaten der Störfallkommission, noch sei ein Brief
    dazu aus dem Bundesumweltministerium beantwortet worden.